Berner bringt stummes Kunstwerk aus New York zum Erleuchten

Berner bringt stummes Kunstwerk aus New York zum Erleuchten

Von Andreas Seiler

Wer gedacht hat, alles wird einfacher und besser mit neuer Technik, ist auf dem Holzweg: Die fortschreitende Digitalisierung stellt uns heute vor beachtliche Probleme. Technik ist schnell überholt, Geräte veraltet. Findet man dafür keine Lösung, sehen viele beliebte Kunstwerke blass aus. Ausnahmen bestätigen die Regel. Doch ohne Atlantiküberquerung ging dies nicht.

Tief im Keller eines Mehrfamilienhauses in Bern, umringt von Allerlei, brennt am Ende des schmalen Gangs ein verheissungsvolles Licht. Eine lange Werkbank steht da, Plexiglas spiegelt das farbige Licht von blauen Leiterplatten. Das ist das Reich von Thomas Moll. Er ist es, der aus Amerika den kniffligen Auftrag erhalten hat, eine erloschene Wanderlichtschrift-Installation aus dem Guggenheim Museum zum Erleuchten zu bringen. Jahrzehntelang lagerte dieses gigantische LED-Kunstwerk auseinandertranchiert in diversen Kellern von New York. Das damals technisch revolutionäre Kunstwerk aus 540 Panels, vollgespickt mit roten und grünen LEDs und einer Gesamtlänge von 178 Metern, rankte 1989 spiralförmig alle drei gewundenen Stockwerke im Innern des New Yorker Museums hinauf. Laufende Schriften, getaktet in prägnante Sätze, die Themen der aktuellen Gesellschaft und der Macht betrafen, sorgten für ein dreistündiges Wortewander-Spektakel in der Schneckenhaushalle des Guggenheim. Verantwortlich dafür war die amerikanische Konzept- und Installationskünstlerin Jenny Holzer.

Tief griff Moll im letzten Dezember für diesen Auftrag in die technische Trickkiste der 80er-Jahre. «Ich musste extra einen Computer wie vor 30 Jahren bauen. Zwei Wochen Büez», so Moll. «Aber ich bin aus dieser Zeit und hatte schon damals das unbändige Bedürfnis, die Technik von innen heraus zu verstehen.» Erst mit diesem DOS-Computer (DOS=Disk Operating System) Marke Eigenbau, konnte er die gelieferten sechs Probe-Panels anschliessen und mit dem eigentlichen Auftrag an der wohl längsten Leuchtwanderschrift der Geschichte beginnen: Moll soll herausfinden, ob es möglich ist, die veraltete Technik im Hintergrund zu retten, damit das Werk als erhaltenswert eingestuft werden kann.
Thomas Moll in seiner Werkstatt

Einziger Datenträger – eine alte Diskette
Die 1950 geborene Künstlerin Jenny Holzer orientierte sich damals an der neusten Technik. Die amerikanische Firma Sunrise (hat nichts mit der Hiesigen zu tun) hatte ihr die innovativsten LED-Panels und Schriften zur Verfügung gestellt, laufende rote oder grüne Fonts, gefüllte und solche mit blitzenden Extras. All diese Daten sind auf einer Diskette gespeichert und heute nur kryptisch lesbar – mehr noch – man weiss nicht, ob da noch brauchbare Daten zur Verfügung stehen. Das ursprüngliche Programm, in der revolutionären Sprache «Forth» geschrieben, ist verschollen – die Sprache selbst Legende. Die Entzifferung des Datenträgers ist trotz mehrmaliger Versuche bisher niemandem gelungen.

Letztes Jahr nun, bedingt durch Sparmassnahmen, fand die Installation erneut Beachtung. Über Kontakte einer ehemaligen Studienleiterin der Berner Hochschule der Künste HKB (Moll hat dort oft unterrichtet) fand New York die Unterstützung des Berners. Das Guggenheim schickte die sechs Panels und obengenannte Diskette mit den unlesbaren Daten wie vereinbart nach Bern.

Nachdem nun Moll den neu-alten DOS-Computer komplett zusammengebaut hatte, begann die effektive Arbeit: Herausfinden, ob diese Daten auf der Diskette noch lesbar sind. Beim Zusammenschliessen von Computer und Holzer-Panels merkte der Tüftler, dass die LEDs zwischendurch sporadisch ganz kurz blitzten. Ein erstes Anzeichen dafür, dass eine Chance bestand, das Programm der Lichtinstallation zu knacken. Um nicht wie eine Katze beim Mausen auf diese kurzen Blitze zu warten, konstruierte Moll flugs einen automatischen Tastendrücker, um diese Blitzmomente abzufangen. Mit solchen Tricks und selbsterstellten Schaltplänen arbeitete und tüftelte Moll über Wochen und fand stets mehr über das Herz des Kunstwerks heraus.

Mit Digitalem können wir alles erreichen?
Seit der innovativen Schöpfung der Künstlerin sind 30 Jahre vergangen und Programm und Computer hinter den Laufschrift-Panels veraltet. «Die neuen Manager der Firma Sunrise verloren im Laufe der Zeit die Übersicht und keiner der damaligen Spezialisten lebt heute noch», weiss Moll. Das Wissen über den Betrieb von Jenny Holzers Installation verschwand – spurlos.  

Hier beginnt die Krux des Digitalen, des vermeintlichen Fortschritts. Das Digitale hat die Welt erobert, das vermeintlich Fortschrittliche erscheint uns Menschen wie die rosige Zukunft, alles ist offen und umsetzbar. Doch alte Systeme werden mehr und mehr unbekannt. Das Knowhow verschwindet. Daraus resultiert ein Verlust für viele technische Installationen von Künstler*innen auf der ganzen Welt. Moll weiss: «Je weiter die digitale Technik fortschreitet, je mehr leidet die Qualität, desto mehr Daten gehen verloren.» Das Digitale als Sackgasse? Wer wie Moll frühere Anwendungen verstehen und Probleme mit «lebendigen» Kunstwerken lösen will, muss zurück auf Feld 1. Doch nicht nur das: «Materialien, die früher in der Kunstwelt rege gebraucht wurden – bspw. Glühbirnen – werden nicht mehr fabriziert. Deswegen kam es bei den «alten» Glühbirnen unter Museumsverantwortlichen auf der ganzen Welt zu Hamsterkäufen.» Angehäuft wurden sie, damit Kunstinstallationen und -werke in Zukunft weiter leuchten.

Tatsache ist: «Über die Jahre werden wohl zahlreiche bedeutende Kunstwerke und technische Hilfsmittel nicht mehr funktionieren, weil die Daten dahinter nicht wieder rekonstruiert werden können.» Moll weiss von Beispielen, die kurz vor dem Ausrangieren doch noch gerettet werden konnten. Hier ein spezielles Müsterchen aus der Raumfahrt: Um den Kurs der Sonde Voyager-1 aus den 70er Jahren nach 37 Jahren zu korrigieren, mussten jahrzehntealte Softwaredaten mit einer längst nicht mehr gebräuchlichen Computerssprache hervorgeklaubt werden. Es soll ein alternder Rockmusiker gewesen sein, der noch wusste, wie diese zu entziffern war.

Zurück nach Bern zu den New Yorker LED-Panels: Thomas Moll hat guten Grund zum Jubeln. Er hat die Wanderschriftinstallation aus dem Jahre 1989 von Jenny Holzer mit viel Wissen um die alte Technik in aufwändiger Arbeit geknackt. Die Buchstaben und Worte leuchten, die lang verstummten Kunst-Sätze Holzers wandern wieder. Was die Künstlerin zu diesem Erfolg sagt, weiss Moll noch nicht. Zu frisch ist die Kunde. À suivre…

Bilder der Wanderschrift-Installation aus dem New Yorker Guggenheim: https://projects.jennyholzer.com/LEDs/guggenheim-1989


Andreas Seiler ist freier Texter und Kunstschaffender aus Bern – www.seilertexte.ch – Texte auf Anfrage: info@seilertexte.ch