Partnerschaft: mit der Zeitschrift Ensuite

Ein Glücksfall

Vice Versa veröffentlicht ab der März-Ausgabe im Kulturjournal Ensuite monatlich eine Doppelseite. Dies ist der erste Bericht, der die Idee des Forum Vice Versa vorstellt.

„Kunst ist, was einen innerlich erhebt.“

Das sagten schon die alten Griechen. Doch, wie erreichen wir dieses Gefühl des innerlichen Erhebens? Oder anders gefragt, wie können wir das Publikum überraschen, emotional einbinden und auf unbekannten Boden führen? Solchen Fragen widmet sich das FORUM VICE VERSA. Eine Plattform und Veranstaltungsreihe für neugierige Menschen. Ziel ist es, Personen aus verschiedenen Sparten zusammenzubringen, Erkenntnisse, Erfahrungen, Know-how und Ideen zu teilen.

Der Name Vice Versa weist auf einen Grundsatz hin. Das Arbeiten mit dem Gegenteil. Aus Gewissheit wieder eine Frage zu machen. Ungewohnte Sichtweisen einzunehmen oder das Absurde zu Rate zu ziehen, um gängige Denkpfade zu verlassen. Denn, die so genannte Professionalität ist in kreativen Berufen ein gefährlicher Begriff. Er deutet an, dass jemand etwas zu beherrschen glaubt. „So wird das gemacht.“ Eine schlechte Ausgangslage, um sich zu verbessern, um zu neuen Ideen und Erkenntnissen zu gelangen. Erst recht bei Publikumsprojekten. Denn das Publikum will Überraschnungen, Inspiration, verführt und eben innerlich erhebt werden. Es geht also darum, die Befürchtungen und Erwartungen des Publikums eben nicht zu erfüllen.

Wie können wir anders Denken als wir denken?

Die Schule und unsere Eltern wollen uns vor dem Scheitern bewahren. Sie versuchen, uns das Rüstzeug für einen sicheren Weg mitzugeben. In der Schweiz ist das Sicherheitsdenken besonders ausgeprägt. Und unser Verstand unterstützt dieses Verhalten. Er belohnt uns, wenn wir in gewohnten Mustern denken und handeln. Wie aber können wir diese Denkmuster verlassen? Wie können wir unseren Verstand überlisten?

Es gibt hierfür eine reiche Quelle. Sie ist vielleicht zu nah, so dass wir sie übersehen. Oder sie scheint uns zu absurd. Oder wir nutzen sie intuitiv ungern. Die Rede ist vom Gegenteil. Das folgende Beispiel zeigt, wie das Gegenteil dessen, was normalerweise gemacht worden wäre, zu einem genialen Werk geführt hat.

Angenommen, wir würden einen Spielfilm über den Holocaust drehen – auf welchen Emotionen würde der Film basieren? Naheliegend sind Angst, Hass, Schrecken, Hoffnungslosigkeit. Also nehmen wir nun die gegenteiligen Emotionen: Poesie, Liebe, Humor, Hoffnung. Aber, kann man einen Film über den Holocaust machen nur mit positiven Emotionen? Ja, man kann. Und wie! Roberto Begnini hat so sein Oskar gekröntes Meisterwerk „La vita è bella“ vollbracht.

Er selber spielt den Vater, der freiwillig ins Konzentrationslager geht, um seinen Sohn vor der grauenvollen Realität zu schützen. Er erzählt ihm, der Aufenthalt sei ein kompliziertes Spiel, bei dem die Sieger einen echten Panzer gewinnen. Die herzerwärmende Tragikomödie zeigt, wie Phantasie, Humor, Liebe und Hoffnung den Horror besiegen.

Sie und ich werden nie einen Oskar gewinnen. Trotzdem können auch wir eigene Grenzen überwinden, indem wir das Gegenteil der Gewissheit suchen und es bis ins Absurde treiben, bis ins Lächerliche. Doch dieser Schritt braucht Mut.

Die grösste Niederlage ist, es nicht versucht zu haben.

Dieses amerikanische Motto findet auch hierzulande vermehrt Anklang. Denn den sicheren Weg, den unsere Eltern uns wünschen, gibt es in dem sich immer schneller wandelnden Umfeld nicht. Und so können wir uns fragen, wäre das Schaffen nicht leichter und aufregender, wenn wir es als Experiment betrachteten? Wenn wir Utopien nachgehen und die Möglichkeit des Scheiterns hinnehmen würden. Ist es nicht sogar unumgänglich, wenn wir echte Ideen entwickeln und Visionen verfolgen wollen. Denn dieser Weg ermöglicht wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse. Und wenn wir uns mit Gleichgesinnten zusammentun, uns uneigennützig austauschen, würde das nicht die Hemmung nehmen, Spass machen und uns bereichern?

Das Forum Vice Versa ist eine Plattform für solche Anliegen. Da dieses Projekt auf Freiwilligkeit gedeiht und ein Experiment ist, ist diese Webseite aufgeschaltet, auch wenn vieles noch in Entwicklung ist – und wohl immer bleiben wird. Denn wenn wir die Gewissheit gewinnen sollten, auf dem richtigen Weg zu sein, so kehren wir das ganze wieder um. Vice Versa eben.

Homo Sapiens, was bist du für ein Tier? Teil des Projekts DAS TIER IN MIR war dieses Gassenkino im Loeb-Schaufenster. Auch hier haben wir mit dem Gegenteil gearbeitet. Das Publikum ist nicht vor dem Schaufenster, sondern drinnen auf einer Kinobestuhlung. Es läuft aber kein Film. Man schaut den Homo Sapiens in der Laube zu. Der Alltag schreibt das Drehbuch. Regie führt der Zufall. Dazu läuft ein Kommentar wie in einem Tierfilm – eine zoologische Betrachtung des Menschen. Lauter Umdrehungen. Das Resultat ist auf jeden Fall überraschend.

Das Gegenteil von Rund – der ECKBALL. Eine Projektidee von Simon Haller für die Euro 2006 in Bern. Leider ist sie knapp gescheitert. Die Möglichkeit zu Scheitern war bei diesem Projekt besonders gross, da es ungefragt und reichlich spät eingereicht wurde. Aber sind es nicht gerade die Aufgaben, bei denen das Scheitern wahrscheinlich ist, die uns wirklich vorwärts bringen? Denn, wie Henry Ford sagte «Es gibt mehr Leute, die kapitulieren, als solche, die scheitern.»