Kolumne: Der Film im Kopf

Wenn es regnet im Museum

Noch immer gibt es Ausstellungen, die aussehen wie ein dreidimensionales Sachbuch. Für den Eintritt wird Interesse vorausgesetzt und somit die Bereitschaft, sich mit dem umfangreichen Inhalt zu befassen. Nicht selten geht wohl die Frage verloren, was denn Besucher eigentlich wollen. Wir wissen es alle – gute Geschichten. Schon die alten Griechen wussten, gut sind Geschichten erst dann, wenn sie uns innerlich erheben, einer Dramaturgie folgen. 

„Fakten sind Dreck – wie jeder Rohstoff“

Was Constantin Seibt über den Journalismus schreibt, trifft auch auf die Ausstellung und den Film zu. Information erhalten wir immer und überall – meistens zum Nulltarif. Erst in einer guten Geschichte werden Fakten zu Ingredienzen und somit geniessbar. Schliesslich gehen wir nicht ins Kino, um uns zu informieren. Und eben auch nicht ins Museum. Wollen wir nicht in Gefühlswelten eintauchen? Spannung, Überraschung, Schmerz, Freude oder Humor erleben? 

Welches ist denn Ihr Lieblingsfilm? Wahrscheinlich hat dieser Ihr Gefühlsleben stark belebt. Möglicherweise können Sie den Film komplett nacherzählen, sogar Stellen rezitieren. Wieso klappt das Erinnern bei Filmen so gut? Und wie müssen Ausstellungen gestaltet werden, damit sie lange in Erinnerung bleiben?

Wollen wir nicht in Gefühlswelten eintauchen? Spannung, Überraschung, Schmerz, Freude oder Humor erleben?

You’ll never get a second chance to make a first impression

Die Rezepte sind ähnlich. Ohne Emotionen wird es ganz schwierig. Denn Erinnerung ist an Emotion gekoppelt. Die emotionalen Ereignisse müssen jedoch einem Plan folgen. Im Film spricht man von Exposition, Konfrontation und Auflösung oder auf einer Zeitachse von Anfang, Mittelteil und Ende. Die Psychologie lehrt uns, dass ein guter Anfang und ein starkes Ende am wichtigsten sind. Bei Ausstellungen ist der Anfang entscheidend. 

Beim Einstieg sollten wir uns fragen, welches Gefühl dem Zweck der Ausstellung dienlich ist. Mit welchen Empfindungen, Fragen und Erwartungen sollen die Besucher durch die Ausstellung gehen? Die folgenden zwei Beispiele sind der Versuch, darauf Antworten zu finden. 

Durch Verhüllen zeigen, worum es sich handelt

In einer Ausstellung über die Rolle von Sakralobjekten in der traditionellen westafrikanischen Medizin steht im ersten Raum eine Vitrine, in die man nicht hinein sieht. Es ist lediglich zu lesen, dass sich in der Vitrine eine äusserst wertvolle Maske befindet, was auch stimmt. Welche Reaktion löst nun diese Inszenierung bei den Besuchern aus? Sie mögen es für eine hirnverbrannte Idee halten, es mag sie nerven, dass die Maske nicht zu sehen ist. Emotional sind Sie also voll bei der Sache und Ihre Aufmerksamkeit ist geweckt. Und nun kann erzählt werden, dass die Maske traditionell nur sehr selten eingesetzt und getragen wird, zum Beispiel zur Bekämpfung von Epidemien. Wegen ihrer Gewalttätigkeit und heilenden Wirkung empfinden die Leute Ehrfurcht. Die Wirkung der Maske ist also nur so stark, wie ihr Mythos. Darin zeigt sich ein Grundzug der traditionellen westafrikanischen Medizin. Durch das provokative Nichtzeigen sind die Besucher gezwungen, sich mit dem Mythos zufrieden zu geben. Mit dieser Erfahrung gewinnen sie eine ganz andere Sicht auf das Thema und somit auch auf die weitere Ausstellung. Die Absicht dieses emotionalen Einstiegs ist also, dass die Leute die ursprüngliche Funktion der Exponate nachempfinden können.

Die Wirkung der Maske ist also nur so stark, wie ihr Mythos.

Rollentausch

In einer Ausstellung zum Thema Flucht ist die Absicht Vorurteilen entgegenzutreten, Verständnis für Flüchtlinge zu schaffen und den Dialog zu fördern. Das Gefühl vermitteln, dass Flucht jeden treffen kann, ganz plötzlich. Deshalb wollten wir, dass die Besucher ein Schicksal teilen. Gefragt war also Nähe und Mitgefühl. Auftakt der Ausstellung ist deshalb eine Filminstallation des kurdischen Syriers Mano Khalil. Gezeigt werden aufwühlende Bilder von der Wut, der Zerstörung und von Menschen auf der Flucht. Die Nähe zu den Protagonisten ist wegen ihrer Echtheit schier unerträglich. Danach begleiten die Besucher fünf Person mit unterschiedlichen Schicksalen auf der Flucht. Dazu erhalten sie nach dem Zufallsprinzip eine persönlich gestaltete Fluchtnotiz einer dieser Person. Ein kleines Heft mit Skizzen von Gewalt, Bildern der Familie, Notizen zu Flucht und Hoffnung. 

Die Nähe zu den Protagonisten ist wegen ihrer Echtheit schier unerträglich.

Und was bleibt nach dem Besuch? Nicht das gewonnene Wissen ist entscheidend, sondern der andere Blick und das Interesse am Thema. Ein Ausstellungsbesuch kann ein Samen sein. Ob er auf fruchtbaren Boden fällt, hängt von den Personen ab. 

Nun zum Schluss. In Ausstellungen gestaltet sich dieser anders als in Filmen. In der Komödie wird geheiratet, im Drama entpuppt sich der Bösewicht als leiblicher Vater. Wenn das Gefühlsbarometer nochmals ausschlägt, verzeihen wir dem Film auch langweiligere Phasen. Ausstellungen haben oft kein klares Ende. Vielleicht noch eine Aufforderung. Oder auch nur das Impressum. Je nach Thema gibt es aber die Möglichkeit, die Leute nochmals aufzuwühlen. 

Besucher ins Dilemma setzen

In einer Ausstellung über den Weg Südafrikas aus der Apartheid zu einem demokratischen Staat sollten die Besucher nachempfinden können, wie schwierig es ist, Leid und Hass zu überwinden. Nach einem Rückblick in die schmerzvolle Geschichte mit einem Regime, welches die Rassentrennung in aller Härte umsetzte, sind komplettes Unverständnis und Hass nicht weit entfernt. Zum Schluss der Ausstellung werden schier unerträgliche Filmausschnitte zur Wahrheits- und Versöhnungskommission gezeigt. Auf der einen Seite die Geschichten unschuldiger Opfer. Auf der anderen Seite Täter, die das System beschuldigen und keine Reue zeigen. Aus diesem Film haben wir zwei Opfer zitiert.

How can I forgive someone who doesn’t feel sorry?
How can we find freedom, if we can’t forgive?

Mit diesen beiden Aussagen wurde das Dilemma der schwarzen Bevölkerung Südafrikas zusammengefasst. Und auch bei den meisten Besuchern haben Herz und Verstand gegeneinander gerungen. Dies ist ein dramatisches Ende einer Ausstellung, das sich stark am filmischen Drama orientiert. Oft wird dem Ende einer Ausstellung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Doch als Besucher mögen wir es, wenn die Emotionen nochmals hochkommen. 

Und auch bei den meisten Besuchern haben Herz und Verstand gegeneinander gerungen.

Ein pointierter Schluss bietet die Möglichkeit, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Die Kernbotschaft nochmals destilliert zu präsentieren. Die Besucher mit einer passenden Emotion zu verabschieden, so dass sie ihre Erkenntnisse in die Welt hinaustragen.