QUI EXPOSE, S’EXPOSE

Qui expose, s’expose

Von Claude Kuhn

Das Plakat, extrovertiert, wohl das aufdringlichste unter den Papieren, begleitet uns massenweise und unausweichlich auf unseren täglichen Schritten. Es will mit seinem Auftritt unser Bewusstsein möblieren. Jährlich gelangen zig1000 Plakate in den Aushang. Da gilt es in diesem immensen Spektrum den richtigen Ton zu finden, sozusagen in diesem Chor der Affichen den Solistenpart zu übernehmen. Das Erschaffen eines Plakates, des Autorenplakates, ist der Balztanz eines Gestalters. “Qui expose, s’expose.” Das „Rezept“ – man macht es anders. Es geht um die Neuordnung von bereits Bekanntem. Dazu ist ein Verhalten nötig, das Wozu-Warum- und Wies?  Kurz, eine Eigenschaft, die sich Neugierde nennt, das heisst, die Auseinandersetzung mit dem subjektiv Neuen. Man taktiert, geht subversiv vor, will überraschen, in den Gemütern eine Sache anrichten.

Man muss durch die Hintertüre zur gewünschten Aussage gelangen um ein unerwartetes “me voilà” oder im besten Falle ein ”jamais vue” zu provozieren.

Wer kreativ tätig ist, denkt freiwillig. Um es in den Worten Cassandres zu sagen: „Um Lösungen zu finden ohne zu suchen, muss man lange gesucht haben ohne zu finden.“ Es gilt den kürzesten Weg vom Sender zum Empfänger herzustellen, mit wenig viel sagen. Es verhält sich beim Gestalten wie beim gesprochenen Wort: man kann viel reden ohne etwas zu sagen oder man kann etwas sagen ohne viel zu reden.

Also: Ich tauche in die mir gestellte Aufgabe, suhle mich darin, gehe mit dem Thema schwanger. Meine Optik verändert sich, ich denke in Metaphern. Wenn Schneemanns Karottennase zu einer Erdbeere mutiert, ist der Klimawandel angesagt. Ich beschränke mich auf die Bildidee, versuche mich auf das formale Charakteristikum des Dargestellten zu reduzieren.

Gleich einem Chirurgen, gilt es überflüssiges wegzuschneiden, ohne dabei die Lebendigkeit anzutasten. Ob kommerzielles oder kulturelles Plakat, die Problematik der Inszenierung bleibt identisch. Einzig gilt die Individualität des Auftritts.

Die rasante Entwicklung in der Werbeszene, das gigantische und ebenso komplexe Ausmass heutiger Werbezüge erfordern Kollektivarbeit.      

Agenturen sind gefragt. Es gilt das immense Paket von Design und Administration zu bewältigen. Kreativität  wird nun administriert, nach Schema X oder Y muss ein Ziel angesteuert werden. Der Kreativitätsprozess im Kollektiv kann im Idealfall zu Höchstleistungen führen, die Gefahr jedoch, durch die mangelnde Identifikation der

Macher in eine Fliessbandmentalität abzudriften, liegt auf der Hand. Die Ernte spricht eine deutliche Sprache, das Plakat kommt von der Stange, wird zur Konfektion.

Wenn die Idee zur Ideologie wird, ist sie tot.

Ohne den Auftraggeber, der letztlich der Publizist unserer Plakate ist, und der unser Komplize sein sollte, ohne dessen Ansprüche über das Mittelmass hinaus, ist das Bessere nicht möglich. Es wäre schön, wenn wieder mehr Unternehmer den Mut hätten, den direkten Kontakt zum kreativ Schaffenden zu finden.


Claude Kuhn gehört zu den bedeutendsten Schweizer Plakatkünstlern und war während vier Jahrzehnten für die Inszenierung und Gestaltung der Ausstellungen im Naturhistorischen Museum der Burgergemeinde Bern verantwortlich. Heute tut er nur noch, was ihn wirklich interessiert – dasselbe was er immer tat.