Reframing – Wie Probleme neue Perspektiven öffnen

Reframing – Wie Probleme neue Perspektiven öffnen

Wer kennt diese Situation nicht? Es fehlt das Geld. Das Projekt ist nicht realisierbar. Ist es wirklich nicht realisierbar oder finden wir bloss keine Lösung, weil wir an den immer gleichen Gedanken scheitern?

Manchmal spielt uns der Zufall etwas zu und wir finden einen Ausweg aus solchen Blockaden. Aber ist es tatsächlich Zufall oder gibt es nicht auch Techniken, die in solchen Fällen angewendet werden könnten? Um dies herauszufinden, habe ich Projekte analysiert, bei denen solche Blockaden gelöst wurden. Eins ist mir dabei aufgefallen. Wenn die Fragestellung gedreht wird oder die Perspektive verschoben, so werden andere Gegebenheiten sichtbar. Also suchte ich eine Technik, die durch Perspektivenwechsel funktioniert. Fündig geworden bin ich in der Psychologie, konkret in der Systemischen Therapie. Reframing heisst sie und bedeutet umdeuten oder in einen neuen Rahmen setzen. Darin werden festgefahrene Bilder, welche Therapieteilnehmer voneinander haben, gelockert und neue Sichtweisen durch Perspektivenwechsel ermöglicht. Auf diese Weise wird z.B. im strengen Vater plötzlich der fürsorgliche Vater entdeckt.

So habe ich versucht, die Theorie aus der Systemischen Therapie umzudeuten auf Situationen, in denen schwer lösbare Probleme ein Projekt blockieren. In den folgenden zwei Beispielen habe ich Fragen gefunden, die zu neuen Lösungswegen geführt haben.  

Geschichte der Globalisierung, Dhaka, 2004

Dort startete die internationale Tournee der von der Schweiz initiierten Ausstellung „Geschichten der Globalisierung“. Die Museumsbetreiber in Dhaka fanden, bei diesem Thema wäre es interessant, gerade auch ärmere Bevölkerungsschichten anzusprechen und in den Dialog einzubeziehen. Um richtig viele dieser Leute zu erreichen müsste aktiv geworben und die Leute ins Museum gebracht werden. Im Budget waren jedoch nur noch 3000 Franken für die PR und Werbung. Und dieses Geld durfte nicht zweckentfremdet werden.

Unser Wunsch war völlig unrealistisch, liess uns aber keine Ruhe. Wir versuchten es mit einem  Perspektivenwechsel. Wir kehrten die Fragen um. Was, wenn wir die Ausstellung zu den Leuten bringen? Gibt es eine Form, die gleichzeitig als PR- und Werbevehikel dient? Und womit könnten wir die Ausstellung umsetzen, fast ohne Geld? Wir schauten uns also um nach einer einfachen mobilen Lösung, die schon existierte und sahen tausende Rickschas, viele mit Laderampen für Transporte. Wir heuerten 20 Rickschafahrer für eine Woche an. Auf die Ladeflächen liessen sich ganz einfache Zeltähnliche Konstruktionen stellen. Die Fotos der Ausstellung druckten wir aus, laminierten und befestigten sie. So entstand ein Rickscha-Konvoi. Er zog alle Blicke auf sich und tingelte durch die Stadt und in Quartiere, wo die Leute noch nie eine Ausstellung gesehen hatten. Mehrere Personen standen für Erklärungen und Gespräche mit dem Publikum zur Verfügung und hatten alle Hände voll zu tun, um dem enormen Besucherandrang gerecht zu werden.

Auch die Medien haben die aussergewöhnliche Aktion bemerkt. Im nationalen Fernsehen wurde in den Prime Time News darüber berichtet. Ebenso in der internationalen und lokalen Presse. Das Resultat war überwältigend.

Hausärztemangel, 2010

2010 drohte der Schweiz ein fataler Hausärztemangel. Nachdem in den Jahren zuvor Bundesrat Pascal Couchepin die ohnehin schwierige Situation sogar noch mit Auflagen verschärft hat, sahen die Hausärzt*Innen nur noch einen Weg, jenen über eine Volksabstimmung zur Rettung der Hausarztmedizin. Die Initiative hatte die nötige Anzahl Unterschriften erreicht. Nun galt es über vier Jahre eine schweizweite Kampagne zu führen um die Abstimmung zu gewinnen. Die Hausärzt*Innen hatten knapp 1,5 Millionen für diese Kampagne bezahlt – aus den eigenen Taschen. Damit die Unabhängigkeit gewahrt werden konnte, kam Unterstützung aus Wirtschaft und Politik nicht infrage. Klar war aber auch, dass dieser Betrag bei Weitem nicht reichen würde für eine konventionelle Kampagne über Plakataushang, TV-Werbung o.ä.

Die Frage war also: Wie ist es möglich, in allen Landesteilen über vier Jahre den Grossteil der Bevölkerung zu erreichen und auch noch vom Anliegen zu überzeugen – mit etwa 25 Rappen pro stimmberechtigte Person. Ein Perspektivenwechsel und ähnliche Fragen wie beim vorangehenden Beispiel  haben auch hier die Lösung gebracht.

Was steht zur Verfügung und kostet nichts? Gibt es einen Weg, um Millionen Menschen zu erreichen? Gegen was sind die politischen Gegner chancenlos? Was sind die Besonderheiten der Hausärzt*Innen? Die Lösung dieser Fragen präsentierten wir an unserer Bewerbung vor dem Initiativkomitee wie folgt:

Alle wollen einen Hausarzt. Welcher Berufsstand kann das von sich schon behaupten? Angenommen in einer Praxis gibt es täglich 20 Konsultationen, also hundert pro Woche, 400 pro Monat und dies mal 6000 Hausarztpraxen in der Schweiz, so sind das 2,4 Millionen Patientenbesuche in einem Monat. Dort haben die Patienten meistens Zeit und ein Gesundheitsanliegen. Es ist also der ideale Ort für den Abstimmungskampf. Den Praxen wurde passendes Material zur Verfügung gestellt, womit sie den Abstimmungskampf selber führten und eindrücklich gewannen. Mit 88% Ja-Stimmen wurden die Gesetzesänderungen angenommen.

Ein Bus mit einer multimedialen Ausstellung über die Gründe zum Hausärztemangel tourte durch die Schweiz um die Medien und das Publikum zu überzeugen.

Reframing

In diesen und weiteren Beispielen hat sich gezeigt, dass sich in schwierigen Situationen ein kompletter Perspektivenwechsel lohnt – die Suche nach innen. Denn wenn Grundlegendes fehlt wie z.B. Geld, so sind wir gezwungen zu analysieren, was da ist, was uns zur Verfügung steht, welche Möglichkeiten vorhanden sind. Keine leichte Aufgabe. Denn was da ist, erachten wir als selbstverständlich und erkennen deshalb dessen Qualitäten oft nicht. Untersuchen Sie also Ihr alltägliches Umfeld. Drehen Sie jeden Stein um. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass Sie beim Hinterfragen des Selbstverständlichen zu überraschenden Erkenntnissen kommen. Fragen Sie nach dem Prinzip Wer? Was? Wo? Wie? Und fragen sie immer wieder warum? Üben Sie das Reframing, wechseln Sie immer wieder die Perspektive. Gehen Sie den Dingen auf den Grund.